Magret Kindermann: Tulpologie
Marlene probiert gerne aus. Sie probiert gerne Situationen aus. Etwas, das ihr einfach spontan einfällt – oder eine Idee, die sie schon länger verfolgt. Sie probiert auch gerne sich selbst aus. Doch es tauchen Fragen auf. Wie weit kann sie gehen? Wie weit will sie gehen? Das alles gesteht sie sich aber anfangs nicht ein. Rasch beginnt ein interessanter Selbsterfahrungstrip einer Dame, die ihrem Alter keinen Stempel aufgedrückt wissen will.
Die primäre Protagonistin in Magret Kindermanns Novelle hat einen ausgeprägten Sinn für Details. Dieser äußert sich in Erkenntnissen menschlichen Fehlverhaltens, adlerscharfen Beobachtungen und auch im Perfektionismus ihre Kleidung betreffend. Sie liebt Blumen, allen voran Tulpen. Diese Vorliebe verbindet sie auf eine besondere Weise mit dem zweiten Hauptdarsteller der Geschichte, dem Blumenhändler Herrn Huang. Die beiden unterhalten ein recht spezielles Verhältnis zueinander.
Wie kann man in einem freien Leben gefangen sein? Marlene geht es genau so. Sie ist eingesperrt in eingefahrenen Mustern, teils durch ihre Erziehung eingetrichtert, teils durch ihr eigenes lebenslanges Verhalten angeeignet. Sie möchte aus diesen ausbrechen – was ihr auch auf eigentümliche Art und Weise gelingt.
Das Buch wirft Fragen auf. Was sollen wir glauben? Was wollen wir denn? Was glauben wir zu wollen? An einer Stelle im Buch heißt es, prägnant auf den Punkt gebracht: »Wer sind wir, wenn wir nach einem Skript leben?« Doch wir sitzen alle im selben Boot. Letztlich geht es um die Erkenntnis, dass die Reduktion auf eine einzige Sache heilsam sein könnte. Wenn nicht, dann ist sie wenigstens wohltuend.
Magret Kindermann hat mit »Tulpologie«, ihrem zweiten Buch, eine unglaublich schöne Geschichte entworfen. Eine, im positiven Sinne, verschachtelte und komplizierte Geschichte, die sie aber locker-flockig erzählt. Und das Beste daran: Das Buch lässt sich in einem Stück durchlesen – weil ihr Sinn für Spannungsbögen aufhören verhindert. Sie entführt uns in die märchenhafte Welt der Zuneigung und Liebe, die einhergeht mit Vergänglichkeit. Die Tulpe als Sinnbild dafür ist perfekt gewählt. Die Lehre der Tulpe: Tulpologie.